22.04.–11.07.2010
Ausstellung im Großen Saal/Kabinett
Eröffnung: 21. April 2010, 19 Uhr
In einer Gruppenausstellung zeigte der Salzburger Kunstverein ein Projekt mit dem Titel „Partizipation. Politik der Gemeinschaft“, in welchem partizipatorische Praktiken in der internationalen Gegenwartskunst untersucht und Projekte vor Ort verwirklicht wurden. Der Begriff sollte einer kritischen Hinterfragung unterzogen und auf seine Zweckmäßigkeit überprüft werden. In Anlehnung an Jean-Luc Nancy und sein Buch „Die herausgeforderte Gemeinschaft“ stellten wir erneut die Frage nach dem Begriff der „Gemeinschaft“, die sich nach dem Zusammenbruch des Kommunismus mit ungebrochener Drastik darstellt.
Partizipation gilt mittlerweile als „must“ einer zeitgenössischen Kunstpraxis, ein Versprechen, das oft nur rudimentär eingelöst wird. Welche Position wird der/m MitproduzentIn des Werkes zugewiesen, welchen Handlungsspielraum hat sie/er wirklich? Welche Selektions- und Steuerungsmechanismen bauen KünstlerInnen ein, um zum erwünschten Ergebnis zu kommen?
Die Ausstellung versammelte unterschiedliche aktuelle Zugänge und Strategien zu diesem Thema. Nach einer Phase der realen Auseinandersetzung mit Problemen gesellschaftlicher Gruppierungen in den 1990er Jahren wird nun verstärkt wieder im symbolischen Feld agiert. Nicht die unmittelbare gesellschafts-verändernde Kraft der einzelnen Arbeiten steht im Zentrum dieser neuen Ansätze, sondern die Fähigkeit, mittels künstlerischer Projekte aktuelle Problemfelder erfahrbar zu machen, Machtkonstellationen zu erkennen und gegebenenfalls zu verschieben oder durch Ironie und Camouflage zu unterlaufen.
Historisch am weitesten zurückgreifend war die Arbeit von Ruth Kaaserer mit dem Titel „Community Gardens“, welche die Besetzung und gemeinsame Nutzung von Brachland in New York als Gemeinschaftsgärten seit den 1970er Jahren beleuchtet. In ihrem Langzeitprojekt dokumentiert die Künstlerin, wie Demokratie auf kleiner Ebene funktionieren kann.
Eine bedeutende Rolle im Zusammenhang mit aktuellen partizipatorischen Praktiken spielte die Wiederaufführung wichtiger historischer Ereignisse – wie z.B. Jeremy Dellers Reenactment der Kämpfe zwischen britischen Minenarbeitern und der Polizei im Jahr 1984 in seiner Arbeit „The Battle of Orgreave“ (2001). Die erneute Konfrontation mit den gewerkschaftlichen Kämpfen führte zur Einleitung einer quasi therapeutischen Aufarbeitung der traumatischen Geschehnisse. In dieselbe Richtung wieß die Arbeit von Irena Botea, welche die vom Fernsehen live übertragene rumänische Revolution von 1989 in „Auditions for a Revolution“ (2006) noch einmal neu durcharbeitete.
Gesellschaftlichen Überdruck zu zeigen und abzulassen war die gewählte Methode der von Tellervo Kalleinen und Oliver Kochta-Kalleinen initiierten und mittlerweile weltweit agierenden „Beschwerdechöre“. Die reinigende Wirkung des Schimpfens nutzend, waren die Mitwirkenden aufgefordert, Beschwerden zu formulieren, die dann im öffentlichen Raum singend vorgetragen wurden. Die österreichische Variante, der „Wiener Beschwerdechor“ des Künstlers
Oliver Hangl, trat bei der Eröffnung der Ausstellung auf. Proteste, Demonstrationen und öffentliche Reden waren auch das Arbeitsfeld von Sharon Hayes. Sie hatte für ihr Projekt anlässlich der letzten Istanbul Biennale ihre Mitspieler aufgefordert, Briefe an verflossene LiebhaberInnen an der am stärksten frequentierten Straße Istanbuls vorzutragen, um so den politischen Gehalt des Privaten erneut auszutesten oder überhaupt dem Privaten im öffentlichen Leben einen Platz zurückzuerobern.
Die Herstellung von Gemeinschaft durch das kollektive Singen ist eine häufig eingesetzte Strategie aktueller zeitgenössischer Projekte. So auch bei der schwedischen Künstlerin
Johanna Billing, welche 2005 in einem Vorort von Zagreb mit SchülernInnen den Song von Rotary Connection, „Magical World“, einstudierte. Der Rekurs auf das politische Potential des Liedes, gegen geschnitten mit der aktuellen Situation der Kinder im postkommunistischen Kroatien, erzeugte eine schwebende Stimmung zwischen Erinnerung und Aufbruch.
Irene und Christine Hohenbüchler haben im Rahmen der „periferic Biennale“ in Iasi ebenfalls mit Kindern eines postkommunistischen Landes gearbeitet, im Salzburger Kunstverein zeigten sie die dabei entstandene Arbeit „socialprocesses“. Dazu waren die Besucher aufgefordert selbst in den Prozess der zeichnerischen Selbstwahrnehmung einzusteigen und in der Ausstellung Portraits herzustellen.
Mit einer direkten Handlungsaufforderung war auch die Arbeit von Severin Weiser „Panic Proof / Krisenfest“ verbunden, welche die AusstellungsbesucherInnen zur Schatzsuche einlud, gleichzeitig aber auch die Frage nach dem Wert der Kunst stellte. Ebenfalls in die Irre geleitet wurden die jungen israelischen Teilnehmer des Projektes von Ruti Sela und Maayan Amir, die, zu einem Stell-dich-ein mit sexbereiten jungen Damen gebeten hatten, sich in einem Setting wiederfanden, in dem das Thema der Armee, des Wehrdienstes und des allgegenwärtigen Krieges verhandelt wurde.
Dokumentarische Aufarbeitung realer partizipatorischer Projekte, Reenactment, das quasi therapeutische Arbeiten mit spezifischen gesellschaftlichen Gruppen, Performances im öffentlichen Raum, die Camouflage aktueller gesellschaftlicher Strategien, und Kunstwerke mit direkter Handlungsaufforderung an das Publikum: diese durchaus unterschiedlichen Methoden zeigten die Vielfalt aktueller Zugänge zu einer partizipatorischen Praxis, an welchen sich die von der Ausstellung thematisierten Fragestellungen ablesen ließen.
Ergänzend zur Ausstellung mit zeitgenössischen KünstlerInnen zeigten wir im Kabinett einen historischen Aufriss zur Thematik in Form exemplarischer Werke und eines Archivs.
KünstlerInnen: Johanna Billing, Irina Botea, Jeremy Deller, Oliver Hangl, Sharon Hayes, Christine und Irene Hohenbüchler,
Ruth Kaaserer, Tellervo Kalleinen/
Oliver Kochta Kalleinen, Ruti Sela/Maayan Amir, Severin Weiser
Kuratorin: Hemma Schmutz
Projektassistenz: Susanne Staelin