07–09
2006
 
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Termine 2006

20.07.–10.09.2006
Ausstellung

Soleil Noir
Depression und Gesellschaft

Eröffnung: 19. Juli 2006, 20 Uhr
Anschließend The Klub - Part 6: ab 21 Uhr

Zunehmend verstärken sich die Klagen über „Das erschöpfte Selbst“, um einen Buchtitel des französischen Soziologen Alain Ehrenberg zu zitieren, der sich mit dem Thema, der Begriffsentwicklung und Definition der Depression beschäftigt hat. Alltagsphänomene wie „Burn-Out“, Depression, Borderline-Störungen oder das Verabreichen von Psychopharmaka schon bei leichten seelischen Verstimmungen lassen sich als gesellschaftlicher Prozess beschreiben, der die „Sorge um das Selbst“ an das einzelne Individuum delegiert. Die fortschreitende Emanzipation der Menschen von reglementierenden Institutionen wie der Familie, politischen Bewegungen oder der Nation lässt jedoch Leerstellen frei, die nicht alleine durch Konzepte und Begriffe wie „Selbstverantwortung“ aufzufüllen sind.

Vor diesem Hintergrund untersuchte die internationale Gruppenausstellung Soleil Noir den Zusammenhang von Depression und Gesellschaft. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stand dabei weniger die Depression als gemeinhin definierte, schwere seelische und geistige Erkrankung, sondern vielmehr die depressive Verstimmung bzw. Verstimmtheit als ein Zustand, mit dem jede/r im Laufe ihres/seines Lebens auf die eine oder andere Art, ob als „Betroffene/r“ oder „Mit-Leidende/r“, konfrontiert ist. Die Ausstellung spannte ein inhaltliches Feld zwischen zwei Extrempositionen – Gesund/Krank – auf und ging den dazwischen befindlichen, feinen, oft kaum definierbaren Übergängen an Stimmungen nach. Langeweile, Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit, mangelndes Interesse am Anderen, aber auch das Umschlagen in manische Phasen, in Arbeitswut und Selbstbezichtigungen wurden in unterschiedlichen künstlerischen Positionen angesprochen.

Die Auseinandersetzung mit der Wechselbeziehung zwischen Gesellschaft und Individuum stand im Mittelpunkt der ausgewählten, künstlerischen Positionen. Allen Arbeiten gemeinsam war, dass sie sich jenseits der romantischen Vorstellung bewegten, der oder die Künstlerin sei – gewissermaßen als exemplarisch Leidende(r) – gerade im melancholischen Zustand besonders produktiv. Vielmehr lag der inhaltliche Fokus auf der Beschäftigung mit dem möglichen Handlungspotential der Subjekte in einer neoliberalen Gesellschaft und der Frage nach deren Aktivierung. Die depressive Verstimmung als Reaktion auf einen (un-bewussten) Verlust, eine These, die auf Freud und seinen Aufsatz „Trauer und Melancholie“ (1916/1917) zurückgeht, stellte einen inhaltlichen Schwerpunkt in der Ausstellung dar. Das Thema des Verlustes fand sich dabei in unterschiedlicher Form und Ausprägung wieder: als Verlust eines Anderen, eines (politischen) Ideals, einer Umgebung, der Heimat oder einer Kultur (etwa durch Reisen, Migration, Flucht), der eigenen Identität, des „Selbst“ – bis hin zum eigenen Leben (Tod, Selbstmord). Dabei blieben die einzelnen Arbeiten aber nicht bei der Beschäftigung mit den dadurch ausgelösten seelischen/psychischen/körperlichen Schmerzen stehen, sondern zeigten vielfach auf, dass im Verlust, der Einsamkeit und Traumatisierung immer auch ein (positiver) Wert und eine zentrale Bedeutung für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, sowie der Beziehung zu sich und dem Anderen liegt.

Der Titel der Ausstellung „Soleil Noir“ (frz. schwarze Sonne) leitet sich aus dem Gedicht „El Desdichado“ (Der Enterbte) des französischen Schriftstellers Gérard de Nerval (1808–1855) ab. Das Gedicht entstand 1853 im Zusammenhang mit der Erkrankung des an Wahnvorstellungen leidenden Autors. De Nerval greift darin das mythologische Prinzip des Saturnischen auf und führt davon ausgehend den Begriff „Soleil Noir“ als Metapher für einen dunklen, zerstörerischen Zustand ein. Julia Kristeva, in Paris lebende und lehrende Literaturtheoretikerin, Psychoanalytikerin und Philosophin, hat Gérard de Nervals Ausdruck als Titel für ihr Buch „Soleil Noir. Dépression et mélancolie“ (1987) verwendet, in dem sie sich mit ebendiesen Phänomenen in Kontext von Kunst, Literatur, Philosophie, Religion und Psychoanalyse beschäftigt. Die Ausstellung „Soleil Noir. Depression und Gesellschaft“ unternimmt, ähnlich Kristevas Ansatz, den Versuch, das Phänomen der Depression weniger als Krankheit, sondern vielmehr im Sinn eines Diskurses zu fassen, dessen Sprache es zu folgen und zu verstehen gilt. Im Rahmen der Ausstellung hat der österreichische Maler Otto Zitko die Ringgalerie im Künstlerhaus gestaltet.

Kuratorin: Hemma Schmutz

KünstlerInnen: Maria Bussmann,
Olga Chernysheva, Doris Frohnapfel, Dan Graham, Lynn Hershman, Maryam Jafri, Gülsün Karamustafa, Paweł Książek, Anita Leisz, Maria Lieb, Gerd Löffler,
Antje Majewski, Ioana Nemes, Fritz Rücker,
Miroslav Tichý, Simon Wachsmuth, Ingrid Wildi, Otto Zitko (Ringgalerie)

Simon Wachsmuth, 0,7, 2004, Videostill

Simon Wachsmuth, 0,7, 2004, Videostill
Foto: Simon Wachsmuth

Simon Wachsmuth, 0,7, 2004, Videostill